Rechtsruck im Zwickauer Stadtrat: Warum die Oberbürgermeisterin oft auf verlorenem Posten steht
Weil mehrere Fraktionen mit der AfD zusammenarbeiten, haben sich die Machtverhältnisse im Gremium verschoben. Constance Arndt muss zunehmend Niederlagen einstecken, wie der Beschluss zum Genderverbot einmal mehr gezeigt hat. Eine Analyse.
Wenn der „Spiegel“, der „Deutschlandfunk“ und andere überregionale Medien über Zwickau berichten, dann ist der Anlass selten ein erfreulicher. Manchmal geht es um die Verbrechen des NSU und den Umgang damit, manchmal um die fragwürdige Reaktion der Justizbehörden auf Hetzplakate einer Neonazi-Partei. In den vergangenen Tagen hat Zwickau erneut bundesweit auf sich aufmerksam gemacht. Ob auf rühmliche oder unrühmliche Weise, das kommt ganz auf den Standpunkt des Betrachters an. Das Genderverbot, das der Stadtrat dem Rathaus auferlegt hat und das auch auf das Theater Plauen-Zwickau zielt, hat jedenfalls viel Staub aufgewirbelt, weil es als Präzedenzfall und Angriff auf die Kunstfreiheit gelten kann.
Geht es der AfD wirklich um die deutsche Sprache?
Sowohl der Beschluss zum Gendern als auch jene Entscheidung, eine Jugendliche wegen angeblicher Nähe zur Antifa aus dem Jugendbeirat zu werfen, stehen exemplarisch für das Machtgefüge im Stadtrat. Eine Mehrheit bildet sich inzwischen bei solch ideologischen Fragen fast immer rechts der Mitte. Da verwundert es nicht, dass sich die AfD-Fraktion auf Facebook mit großer Zufriedenheit in die politische Sommerpause verabschiedet. „Die vernünftige Mehrheit im Stadtrat stimmte mit uns und gegen Links-Grün“, heißt es dort zur Genderdebatte.
Dass es der Partei beim ursprünglich von ihr auf den Weg gebrachten Antrag nicht – wie von ihren Vertretern behauptet – um die deutsche Sprache ging, sondern um eine Machtdemonstration, beweist der Umstand, dass sie es in dem Post mit der Unterscheidung von „das“ und „dass“ sowie mit der Kommasetzung nicht so genau nimmt: „Das E-Autos umsonst in der Zwickauer Innenstadt parken ist nun auch nicht mehr möglich (…)“. Die Zwickauer Grünen zeigten sich hingegen entsetzt über den Genderbeschluss, die SPD brachte ihr Unbehagen wegen „reaktionärer Einstellungen“ im Stadtrat zum Ausdruck.
Die Polarisierung im Stadtrat ist so stark ausgeprägt wie schon lange nicht mehr. Um zu verstehen, welche Mechanismen in dem Gremium wirken, hilft ein Blick auf die Sitzverteilung. Es gibt 48 Mandatsträger, hinzu kommt die Stimme von Oberbürgermeisterin Constance Arndt (Bürger für Zwickau, BfZ). Für eine Mehrheit braucht es folglich 25 Stimmen.
Wenn sich CDU/FDP (14 Sitze), AfD (7) und die AfD-Abspaltung namens Fraktion freier Bürger (FfB) (6) einig sind, und das ist oft der Fall, können diese drei Fraktionen die Entscheidungen des Rates diktieren. Das konservative bis rechte Lager ist durch die Fraktionswechsel von Uta Wöhl (von den Linken zur AfD) und Grit Fischer (von den BfZ zur FfB) während der Legislaturperiode stärker geworden. Und da auch die BfZ-Fraktion (4 Sitze) meist in diese Richtung tendiert, steht die Mehrheit auch dann, wenn einige eigene Leute bei Abstimmungen fehlen. Die Rolle der Opposition nehmen in der Regel SPD/Grüne/Tierschutzpartei (9) und Linke (7) ein.
Wo die Grenzen zwischen den beiden Blöcken verlaufen, lässt sich vor allem bei Mobilitätsfragen gut beobachten. Statt des Autoverkehrs auch andere Formen der Mobilität fördern? Nicht mit dem konservativ-rechten Block. Die Parkgebühren in der Innenstadt nach vielen Jahren erstmals wieder anheben, wie die Stadtverwaltung es vorgeschlagen hat? Nicht mit dem konservativ-rechten Block. Auch bei der Energiepolitik und der Aufarbeitung der NSU-Verbrechen sind die Rollen zwischen den Lagern klar verteilt.
Ist diese Situation problematisch? Auf den ersten Blick nicht. Mehrheit ist Mehrheit, und vermutlich würde auch eine Mehrheit der Zwickauerinnen und Zwickauer die allermeisten Entscheidungen des konservativ-rechten Lagers unterschreiben. Die Frage ist, welche Folgen es hat, wenn mehrere Fraktionen im Stadtrat regelmäßig gemeinsam mit der AfD abstimmen und so deren Agenda befördern – einer Partei, die vom sächsischen Verfassungsschutz als extremistischer Verdachtsfall eingestuft wird.
Die Brandmauer zur AfD, die CDU-Chef Friedrich Merz nicht müde wird zu betonen – sie ist in Zwickau nicht existent. Die CDU/FDP-Fraktion verhalf dem Gender-Antrag der AfD zur Mehrheit, indem sie dessen Stoßrichtung mit einer eigenen Initiative noch ausweitete. Auch die drei FDP-Vertreter stimmen regelmäßig mit der AfD, was auf Bundesebene undenkbar wäre. Dass es auch anders geht, bewies kürzlich der Stadtrat in Hoyerswerda. Dort scheiterte die AfD mit einem ganz ähnlichen Antrag zum Gendern, weil sich alle anderen Fraktionen dagegen aussprachen – auch die CDU.
Konservativ-rechtes Lager treibt OB vor sich her
Oberbürgermeisterin Constance Arndt hatte den Gender-Antrag von Anfang an als überflüssig bezeichnet. Ihr sah man während der Debatte an, wie unzufrieden sie mit deren Verlauf war. Mit ihrer Meinung durchsetzen konnte sie sich nicht – wieder einmal. Arndt steht im Stadtrat zunehmend auf verlorenem Posten und wird vom konservativ-rechten Lager vor sich hergetrieben.
Zwar hatte sie seit ihrer Wahl im Herbst 2020 nie eine eigene Hausmacht in dem Gremium. Aber jetzt geht ihr auch „ihre“ kleine BfZ-Fraktion immer regelmäßiger von der Fahne. Zuletzt war das mit Blick auf die Wirtschaftsförderung zu beobachten. Die BfZ-Fraktion hatte gemeinsam mit AfD und FfB einen Antrag gestellt, die Abteilung aus dem Rathaus herauszulösen und eine eigenständige Gesellschaft zu gründen. Arndt sprach sich dagegen aus. Auf Druck der Räte musste sie sogar die Wahl eines neuen Chefs der Wirtschaftsförderung von der Tagesordnung der jüngsten Sitzung nehmen.
Arndts Niederlagen häufen sich – gerade bei Themen wie der Mobilität, bei denen man ihr anmerkt, dass sie ihr wichtig sind. Es wirkt, als stehe sie in vielen politischen Positionen inzwischen SPD/Grünen/Tierschutzpartei und Linken näher. Ist sie in den BfZ überhaupt noch richtig aufgehoben? Einige Stadträte sprechen schon von einem Machtkampf zwischen Arndt und BfZ-Fraktionsgeschäftsführer Tristan Drechsel. Wenn man dieser Interpretation folgen will, dann liegt Drechsel nach Punkten klar vorn.
Welche Optionen hat die Oberbürgermeisterin, um das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen? Ihre Möglichkeiten, sich mit Deals Stimmen für enge Abstimmungen zu sichern, wie es ihre Vorgängerin Pia Findeiß (SPD) oft getan hat, sind begrenzt. Schließlich hat sie ohne Hausmacht im Stadtrat kaum etwas anzubieten. Sie könnte die hoch umstrittenen Fahrradstreifen auf der Marienthaler Straße einkassieren, die vor allem die Fraktion freier Bürger vehement bekämpft, um ein Entgegenkommen an anderer Stelle zu erreichen. Das würde aber ihrer Glaubwürdigkeit schaden, schließlich hat sich Arndt immer für die Radstreifen eingesetzt. Sie könnte natürlich darauf setzen, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat bei der nächsten Kommunalwahl am 9. Juni 2024 ändern.
Baubürgermeisterin Silvia Queck-Hänel (parteilos), ebenfalls ohne Machtbasis im Rat, hat ihre Hoffnung, das Gremium möge progressiver werden, schon zum Ausdruck gebracht. Realistisch erscheint dies angesichts des Umfragen-Höhenflugs der AfD auf Bundes- und Landesebene zumindest derzeit nicht.
Klar auf der Hand liegt: Constance Arndt befindet sich in einer äußerst vertrackten Lage. Die Jahre bis Herbst 2027, wenn ihre Amtszeit endet, könnten sich für sie sehr, sehr lang anfühlen.